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2-Pädagogische Audiologie und Diagnostik

Pädagogische Audiologie und Diagnostik

Barbara Bogner

beschreibt, was die frühkindliche Hördiagnostik auszeichnet und welche Methoden für die Optimierung der apparativen Versorgung und der Umgebungsparameter anzuwenden sind.

Einführung

Ziel des Moduls

Ziel dieses Moduls ist es, einen Einblick zu vermitteln wie man bei Kindern im Alter von 0-3 Jahren feststellen kann, wie gut bzw. was das jeweilige Kind hört und wie gutes Hören die Gesamtentwicklung des Kindes unterstützt. Hierzu wird zunächst ein Einblick gegeben, wie normales Hören funktioniert, in welchen Bereichen Hören bei hörenden Menschen möglich ist, welche Bereiche bei Hörschädigung nicht hörbar sind und was durch moderne technische Hörhilfen erreicht werden kann.

Anschließend werden die Schwierigkeiten aufgezeigt, die derzeit bezogen auf die Diagnostik und die Versorgung mit geeigneten technischen Hörhilfen bei Kindern im ersten und zweiten Lebensjahr bestehen und wie damit umzugehen ist. Um die Wirksamkeit der technischen Hörhilfen zu beurteilen, muss die frühe Hörentwicklung dokumentiert und evaluiert werden. Es werden daher Meilensteine der Hörentwicklung aufgezeigt und Verfahren vorgestellt, die aus der pädagogischen Praxis und dem Alltag des Kindes eine Rückmeldung über die Hörfähigkeit des Kindes liefern.

Wichtig für das Hörenlernen sind neben individuellen Faktoren des hörgeschädigten Kindes auch die akustischen Rahmenbedingungen, unter denen Hörenlernen stattfindet. Hier wird aufgezeigt, wie eine hörförderliche Umwelt gestaltet sein sollte und wie dies erreicht werden kann.

Methode

Im Selbststudium sollen sich die Leser Grundlagen zum Hören mit und ohne technische Hörhilfen und zur Einschätzung der Hörfähigkeit bei Kindern im Alter von 0-3 aneignen. Sie sollen Wege finden, wie sie in der täglichen Praxis den Verlauf der Hörentwicklung begleiten können. Viele der aufgeführten Materialien sind über das Internet zu beziehen. Außerdem haben die Leser die Möglichkeit, Ihren Wissenszuwachs anhand von Evaluationsfragen zu jedem Kapitel selbst zu überprüfen.

Was Hörverlust bedeutet

Die wichtigsten Lernziele bestehen darin:

zu wissen, in welchen Dimensionen Hören möglich ist
zu verstehen, was Hörverlust bedeutet
zu erkennen, welche Bereiche ohne und welche mit Hörhilfen hörbar sind

Normales Hören und Hören bei Hörschädigung

Normales Hören

Anatomie und Physiologie des Ohres

Das Ohr wird anatomisch in die Teile Außenohr, Mittelohr und Innenohr unterteilt. Das Außenohr umfasst die Ohrmuschel und den Gehörgang. Es fungiert als Schalltrichter. In der Ohrmuschel wird der Schall gebündelt und in den Gehörgang geleitet. Dort trifft er auf das Trommelfell und versetzt es in Schwingungen. Diese Schwingungen werden über die Gehörknöchelchenkette (Hammer, Amboss, Steigbügel) an das Innenohr übertragen. Dies wird als Luftleitung bezeichnet. Eine andere Möglichkeit der Schallübertragung geschieht durch den Weg der Knochenleitung. Hierbei treffen Schallwellen den Schädelknochen (Mastoid) und werden direkt zum Innenohr geleitet. Im Innenohr setzen sich die ankommenden Schwingungen als Welle der Flüssigkeit innerhalb der Schnecke fort. Die äußeren Haarzellen nehmen die Wellenbewegungen auf und geben sie an die inneren Haarzellen weiter. Die Sinneshärchen werden dabei in ihrer Ruhestellung bewegt. Dies führt zu Spannungsänderungen in der Zelle, wobei ein kurzfristiger Stromfluss den Hörnerv stimuliert, der die Informationen des Schallereignisses zu den zentralen Zentren der Wahrnehmung auf der Großhirnrinde weiterleitet. Erst dort wird das Gehörte durch Vergleich mit erlernten Mustern “verstanden”. Wir hören daher nicht mit dem Ohr, sondern mit dem Gehirn.

Erscheinungsformen von Hörschädigung

Damit ein akustisches Signal hörbar und nutzbar wird, muss folgendes gewährleistet sein:

Schall muss zum Innenohr transportiert werden
Schall muss in elektrische Impulse umgewandelt werden, die weitergeleitet werden
Das Signal muss auf der Ebene des Zentralnervensystems verarbeitet werden.
In jedem dieser einzelnen Bereiche können Störungen auftreten, Im Wesentlichen unterscheidet man drei Arten von Hörschädigungen: die Schallleitungsschwerhörigkeit und die Schallempfindungsschwerhörigkeit, die auch sensorineurale Schwerhörigkeit genannt wird oder die kombinierte Schwerhörigkeit. Darüber hinaus werden Hörstörungen nach Ort der Ursache in periphere oder zentrale Hörstörungen eingeteilt und als cochleäre Hörstörung, retrocochleäre Hörstörung, auditorische Neuropathie oder auch als auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung bezeichnet.

Schallleitungsschwerhörigkeit

Schallleitungsstörungen haben ihre Ursache im Bereich des Außen- oder Mittelohrs. Mögliche Ursachen können sein:

Außenohr
Verletzungen,

Cerumen (Ohrenschmalz)

Fremdkörper im Gehörgang

Anatomische Abweichungen wie Fehlen des Außenohres, Missbildung des Gehörgangs (Gehörgangsatresie / Gehörgangsstenose)
Mittelohr
Belüftungsstörung

Mittelohrentzündungen(Otitis media):

Paukenerguss (Seromukotympanon)
Akute Mittelohrentzündung
Chronische Mittelohrentzündung
Otosklerose

Fehlbildungen der Gehörknöchelchenkette

Verletzungen von Trommelfell und Mittelohr
Die häufigste Ursache der Schallleitungsschwerhörigkeit bei Kindern unter 8 Jahren ist die Mittelohrentzündung („Laufende Ohren“). Auf sie soll an dieser Stelle ausführlicher eingegangen werden. Ungefähr 15-20% aller Kinder zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr haben irgendwann einmal Mittelohrentzündung. Dies führt zu einem vorübergehenden Hörverlust, es ist wichtig, dies zu erkennen, denn auch leichte kurzzeitige Hörstörungen können in sensiblen Phasen die Hör- und Sprachentwicklung nachteilig beeinflussen.

Eine Mittelohrentzündung entsteht, wenn die Eustachische Röhre nicht in der Lage ist, das Mittelohr ausreichend zu belüften, was häufig mit Infekten im Mund-Rachenraum einhergeht. Flüssigkeitsansammlungen im Mittelohr können dann nicht abfließen. Das Problem bei sehr jungen Kindern ist, dass aufgrund der Enge und relativ horizontalen Lage der Ohrtrompete eine ausreichende Belüftung und Flüssigkeitsableitung verhindert wird. Die länger ausbleibende Belüftung der Paukenhöhle führt zu einem tympanalen Unterdruck gegenüber dem atmosphärischen Druck, so auch im äußeren Gehörgang. Das Trommelfell wird nach innen gedrängt, die Gehörknöchelchenkette dadurch versteift.

Kinder mit chronischen Flüssigkeitsansammlungen im Mittelohr haben einen Hörverlust, der sich von Tag zu Tag verändert und auch auf den beiden Ohren unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Dieser unzuverlässige Höreindruck kann Auswirkungen auf die Reifung der zentralen Hörbahn haben und wird auch in Zusammenhang mit auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen als mögliche Ursache genannt.

Ein Unterdruck im Mittelohr kann mit Hilfe der Tympanometrie festgestellt werden. Bevor weitere hördiagnostische und hörtherapeutische Verfahren zur Anwendung kommen, sollte die Mittelohrentzündung medizinisch saniert werden (Behandlung mit Antibiotika, Paukenröhrchen).

Generell gilt für alle Formen der Schallleitungsschwerhörigkeit, dass die Zuleitung des Schalls über den Weg der Luftleitung zum Innenohr gestört ist, die Knochenleitung jedoch nicht beeinträchtigt ist. Dies führt dazu, dass Geräusche, Schall und Sprache gedämpfter wahrgenommen werden und die Hörweite deutlich herabgesetzt ist. Der maximale Hörverlust beträgt 70 – 80 dB. Die Qualität der Schallereignisse wird nicht verändert. Das Verstehen gesprochener Sprache ist eingeschränkt, aber bei entsprechend hoher Verstärkung insgesamt möglich. Die Erkennbarkeit gesprochener Sprache wird deutlich herabgesetzt im Bereich der unbetonten Silben, prosodische Merkmale sind weitgehend erhalten. Die Kontrolle des eigenen Sprechens erfolgt über die Knochenleitung.

Für die Therapie der Schallleitungsschwerhörigkeit gilt, dass generell zunächst medizinische Maßnahmen zur Sanierung im Bereich des Außen- und Mittelohrs ergriffen werden müssen, und erst als zweiter Schritt wird eine hörtechnische Versorgung in die Wege geleitet. Dies umfasst z.B. medikamentöse Maßnahmen im Rahmen einer Infektbehandlung sowie chirurgische Eingriffe. Als hörtechnische Versorgung kommen Hörgeräte (HdO-Geräte, implantierbare Hörsysteme) oder Knochenleitungsgeräte in Frage. Bei ausreichender Verstärkung ist ein gutes Sprachverstehen möglich.

Schallempfindungsschwerhörigkeit

Eine Hörstörung, die durch Missbildung, Verletzung oder Erkrankung in den Bereichen des Innenohres, der weiterführenden Nervenbahnen und/oder dem zugehörigen cerebralen Verarbeitungssystem des Gehirns lokalisiert ist wird als Schallempfindungsschwerhörigkeit bezeichnet. Bei der Schallempfindungsschwerhörigkeit ist die Umwandlung der akustischen (mechanischen) Reize in neurale Impulse und deren Weiterleitung gestört. Bei 98% der Schallempfindungsschwerhörigkeiten liegt die Ursache im Bereich der Cochlea, retrocochleäre Hörstörungen sind verhältnismäßig selten, weshalb auch die Bezeichnungen Innenohrschwerhörigkeit oder sensorineurale Schwerhörigkeit weitgehend synonym verwendet werden.

Schallempfindungsschwerhörigkeiten können in jedem Lebensalter auftreten. Mögliche Ursachen für Schallempfindungsstörungen sind:

Pränatal

Perinatal
Postnatal
–          Schwerhörigkeit bei nahen Verwandten

–          Rötelerkrankung der Mutter bis 6. SSM

–          Zytomegalieinfektion

–          Embryonale Infektionen

–          Fehlbindungen im Kopfbereich

–          Chromosomen-aberrationen
–          Sauerstoffmangel

–          Geburtstrauma

–          Hirnblutung

–          5 Min. Apgar unter 5

–          pH-Wert unter 7,2

–          Geburtsgewicht unter 1500 g

–          Intensivbehandlung

–          Schwere Gelbsucht
–    Meningitis, Enzephalitis

–    Viruserkrankungen (Mumps, Masern)

–    Mittelohrentzündungen

–    Ototoxische Therapie

–    Schädel-Hirn-Traumen

–    zerebrale Bewegungs­störungen

–    Altersschwerhörigkeit

–    Morbus Menière

–    Akustisches Trauma (Knalltrauma oder länger andauernde Belastung durch Lärm)

–    Hörsturz
Während in einem gesunden Innohr ca. 15.000 Sinneszellen (Haarzellen) für die Umwandlung der mechanischen Energie in elektrische Impulse sorgen, sind bei der Innenohrschwerhörigkeit unterschiedlich viele Haarzellen zerstört, so dass elektrische Impulse nur an den Stellen transformiert werden können, wo noch intakte Sinneszellen vorhanden sind. Liegt eine völlige Zerstörung der Haarsinneszellen vor, nützt auch das beste Power Hörgerät nichts mehr, da dieses auch nur da verstärken kann, wo noch Aktionspotentiale ausgelöst werden können. In diesem Fall ist die Einführung eines Elektrodenstrangs in die Cochlea in Form eines Cochlea Implantates die einzige Möglichkeit, die ausgefallene Funktion der zerstörten Haarzellen zu ersetzen und den Hörnerven elektrisch zu stimulieren (siehe Modul 3).

Der Höreindruck bei der Schallempfindungsschwerhörigkeit ist in mehrfacher Hinsicht beeinträchtigt. Wie bei der Schallleitungsschwerhörigkeit liegt ein Intensitätsverlust vor, d.h. es wird in Abhängigkeit vom Ausmaß des Hörverlustes leiser gehört. Die Sprachverständlichkeit ist besonders in störgeräuscherfüllter Umgebung erschwert. Außerdem kommt es zu einer Reduktion des Frequenz- und Zeitauflösungsvermögens. Da nicht alle Haarzellen gleichermaßen geschädigt sein müssen, können einige Frequenzen gar nicht, andere aber teilweise übertragen werden. Hohe Frequenzen sind meist stärker betroffen als tiefe Frequenzen. Der Höreindruck ist dann verzerrt und lückenhaft. Das Gehör ist “verstimmt”. Auch die zeitliche Auflösung kann beeinträchtigt sein. Hohe leise Töne können dabei von tiefen lauten Tönen verdeckt werden, die zu lange nachklingen. Sprache ist hörbar, aber nicht immer verstehbar. Ein weiteres Problem ist, dass Leises aufgrund der Schwerhörigkeit nicht oder schlecht gehört wird. Lautes wird angenehm laut gehört, wenn es aber noch lauter wird, empfindet der Hörgeschädigte dies trotz seines Hörverlusts als ebenso laut wie ein Normalhörender. Kleinere Lautstärkeschwankungen werden also intensiver wahrgenommen als bei Hörenden. Die Unbehaglichkeitsschwelle verschiebt sich nicht im gleichen Maße wie die Hörschwelle. Sie kann trotz deutlich erhöhter Hörschwelle im Vergleich zu Hörenden unverändert oder sogar erniedrigt sein. Der Dynamikbereich ist somit von beiden Seiten (Hörschwelle und Unbehaglichkeit) eingeschränkt. Die Wahrnehmung gesprochener Sprache ist bezogen auf die Fremd- und Eigenwahrnehmung stark ein­geschränkt.

Hörbereich des Menschen

Um zu verstehen, welche Einschränkungen mit einer Hörschädigung verknüpft sind, soll zu Beginn ein Überblick vermittelt werden, in welchen Bereichen menschliches Hören möglich ist. Unser Ohr ist in der Lage, Frequenzen (d.h. Tonhöhen) im Bereich von ca. 20 bis 20.000 Hz zu hören. Die Einheit für die Frequenz ist Hertz (Hz) bzw. Kilohertz (kHz) und geht zurück auf den Physiker Heinrich Rudolf Hertz (1857-1894). Die Bezeichnung Hz wird verwendet, um die Anzahl der Schwingungen / Perioden pro Zeiteinheit anzugeben. Ein Hz bedeutet eine Sinusschwingung in einer Sekunde, 250 Hz 250 Schwingungen pro Sekunde und 4000 Hz 4000 Schwingungen pro Sekunde. Die Verdoppelung der Schwingungszahl ergibt musikalisch gesehen den Oktavabstand. Mit zunehmendem Alter nimmt das Hörvermögen v.a. im hohen Frequenzbereich ab. Der Frequenzbereich für Sprache reicht von 125 Hz bis 8000 Hz, wobei der Hauptsprachbereich zwischen 500 Hz und 4000 Hz liegt. Die Frequenzen der Sprachlaute variieren dabei von tieffrequenten Vokalen wie z.B. [o] und [u] und Nasalen wie [n] und [m] bis zu hochfrequenten Konsonanten wie [f], [s] oder [S].

Unser Hörorgan ist außerdem in der Lage, Geräusche von extrem leise (z.B. säuselnder Wind im Kornfeld) bis extrem laut (z.B. Donnerschlag) zu verarbeiten. Diese große Dynamik des Ohres entspricht einem Unterschied von 1 bis zu 1 Million (zum Vergleich: 1 Gramm vs. 1 Tonne). Angesichts dieser immensen Intensitätsunterschiede ist es wenig sinnvoll, diese enorme Dynamikbreite in einem linearen Diagramm darzustellen. Hier ist es sinnvoll, ein logarithmisches Maß zu verwenden, das komplizierte Zahlenverhältnisse mit Hilfe einfacher Zahlen ausdrücken kann. Zur einfacheren Handhabung wird in der Akustik und damit in der Audiometrie eine Pegelskala mit dem Schalldruckpegel in dB (Dezibel = 1/10 Bel), verwendet, benannt nach dem Amerikaner Alexander Graham Bell (1847-1922). Die Wahrnehmung der Lautstärke ist subjektiv und abhängig von der Frequenz. 0 dB bezeichnet die Schallintensität, bei der ein gut hörender Mensch einen Ton, der über Kopfhörer dargeboten wird, gerade wahrnehmen kann. Dies wird als Hörschwelle (Schwelle vom Bereich des Nicht-Hörbaren in den Bereich des Hörens) bezeichnet. Sie liegt im Normalfall bei 0 bis 10 dB. Die Schmerzgrenze liegt bei 130 bis 140 dB, die Unbehaglichkeitsschwelle (UCL) bei etwa 110 dB. Der Bereich zwischen Hörschwelle und Unbehaglichkeitsschwelle wird als Hörfeld bezeichnet. Abbildung 1 zeigt ein solches Hörfeld. Die X-Achse zeigt die verschiedenen Tonhöhen in Hertz (Hz), die Y-Achse links von oben nach unten die Lautstärke in Dezibel (dB). Eingetragen sind verschiedene Geräuschquellen, es wird deutlich aus welchen Frequenzen bzw. Lautstärkepegeln bestimmte Geräusche bestehen. Ähnliches gilt für Sprache, die sich in einem Frequenzbereich von ca. 500 – 4000 Hz und einem Pegelbereich zwischen 30 und 60 dB erstreckt, Vokale sind dabei lauter als leise, stimmlose Konsonanten. Normallaute Sprache hat einen Pegel von ca. 65 dB. Auf der Y-Achse der linken Seite ist eingetragen, wie sich ein normales Gehör darstellt und wie sich die Hörschwellen bei leichtem, mittelgradigem, hochgradigem Hörverlust und Resthörigkeit verändern. Dies gilt für das Hören ohne technische Hörhilfen. Analog dazu kann anhand der Aufblähkurve (= Hörschwelle mit technischen Hörhilfen) aus dem Tonaudiogramm verdeutlicht werden, welche Bereiche durch die Hörtechnik wieder in den Bereich des Wahrnehmbaren rücken. Entscheidend ist die Hörfähigkeit, die mit Hörgeräten erreicht wird.

Abb. 1: Hörfeld des Menschen: Zu sehen sind der Frequenz- und Dynamikbereich von Geräuschen und Sprache sowie unterschiedliche Grade der Schwerhörigkeit. Die schwarze Hörkurve (schwarze Kreise) stellt die Hörschwelle des normal hörenden Menschen dar, die rote Kurve (rote Kreise) die Hörkurve einer schwerhörigen Person und die schwarze Kurve (schwarze Vierecke) die Aufblähkurve, d.h. die Hörschwelle mit Hörgerät. Alles was oberhalb der Hörschwelle liegt, ist hörbar.

Aus der Darstellung des Hörfeldes kann eine Vorstellung erwachsen

in welchen Dimensionen Hören möglich ist
was Hörverlust bedeutet
wie eine Hörkurve zu bewerten ist
welche Bereiche mit Hilfe von Hörtechnik wieder hörbar machen kann
wo dessen Grenzen liegen

Unterschiedliche Grade und Auswirkungen der Hörfähigkeit

Hörschädigungen lassen sich in Abhängigkeit von Intensität und Frequenz in fünf Hauptgruppen einteilen. Von einer Normalhörigkeit spricht man, wenn der mittlere Hörverlust (mHV) auf dem besseren Ohr nicht mehr als 20 dB beträgt. Dabei werden die Angaben für die Frequenzen 500, 1000 und 2000 Hz zugrunde gelegt und durch drei geteilt. Eine leichtgradige Schwerhörigkeit liegt bei einem Hörverlust bis zu 30 dB vor. Bei einem mittleren Hörverlust im Bereich von 30 dB bis 60 dB spricht man von einer mittelgradigen Schwerhörigkeit vor, bei einem mittleren Hörverlust von 60-90 dB von einer hochgradigen Schwerhörigkeit und ab 90 dB Hörverlust geht man von Resthörigkeit bzw. Gehörlosigkeit aus.

Für das Erlernen der Lautsprache ist der Frequenzbereich von 500 – 4000 Hz besonders wichtig. Die einzelnen Sprachlaute setzen sich aus verschiedenen Frequenzen zusammen. Sind diese nicht hörbar entsteht ein verzerrtes, lückenhaftes Hören. Es hängt z.T. vom Verlauf der Hörkurve ab, welche Sprachlaute wahrgenommen und identifiziert werden können. Vokale befinden sich im Frequenzbereich zwischen circa 250 und 2400 Hz, Konsonanten hingegen decken den Frequenzbereich zwischen ca. 250 Hz und 8000 Hz ab. Das erklärt, warum viele Hörgeschädigte mit einer Hörkurve, die bis 3000 Hz reicht, lediglich Vokale halbwegs erkennen können, während viele Konsonanten, z.B. Frikative (sog, „Zischlaute“ wie [f], [s], [S]), nicht mehr gehört werden können. Es ist ein wesentliches Ziel der Hörgeräte- und CI-Versorgung, die für das Sprachverstehen relevanten Frequenzen soweit wie möglich wieder hörbar zu machen.

Es ist sehr wichtig, dass das Sprachsignal so gut wie möglich an das Kinderohr gebracht wird. Wie gut gesprochene Sprache wahrgenommen und v.a. verstanden werden kann und Hörreste genutzt werden, hängt jedoch nicht allein vom Ausmaß des Hörverlusts ab. So zeigen Kinder mit nahezu identischen Hörkurven im Tonaudiogramm durchaus starke Unterschiede in der Wahrnehmung von Sprache. Wie sich unterschiedliche Arten der Hörschädigung zudem auf die Entwicklung des Kindes in verschiedenen Entwicklungsbereichen auswirken, ist individuell sehr verschieden. Deshalb ist es sehr wichtig, sich einen Überblick über die Hörfähigkeit des Kindes und nicht über seinen Hörverlust zu verschaffen. Dank früher Erfassung, moderner Hörtechnik und professioneller hörgerichteter Frühförderung können im medizinischen Sinne gehörlose Kinder zu hörend-gehörlosen Kindern werden und Lautsprache durch das Hören auf natürliche Weise erwerben.

Zusammenfassung

Hören ist ein Wunder der Natur. Der Hörbereich des Menschen erstreckt sich im Frequenzbereich von 20 – 20.000 Hz. Die Hörschwelle liegt bei Normalhörenden zwischen 0 und 10 dB, die Unbehaglichkeitsschwelle bei ca. 110 dB. Ein Normalhörender nimmt leise Töne ohne Schwierigkeit wahr. Bei Schwerhörigkeit verschiebt sich die Hörschwelle zu höheren Lautstärken. In Abhängigkeit von der Stärke und dem Verlauf der Hörstörung erfolgt eine Überschneidung der Hörschwelle mit dem Sprachbereich. Diejenigen Anteile der Sprache, die im Audiogramm oberhalb der Hörschwelle liegen, werden nicht mehr gehört, wenn normal laut gesprochen wird. Für den Erwerb der Lautsprache ist es wichtig, dass möglichst alle relevanten Sprachanteile mit Hilfe der Hörtechnik wieder hörbar gemacht werden. Wie sich Hören und Sprache dann entwickeln, ist abhängig von vielfältigen Lernprozessen, für die durch die Hörtechnik gute Ausgangsvoraussetzungen geschaffen werden.

Evaluation

Wie ist der frequenzbezogene Hörbereich des Menschen?

16 bis 6000 Hz
1000 bis 20.000 Hz
20 bis 20.000 Hz
500 bis 4000 Hz
Was versteht man unter dem Hörfeld?

Erfahrungsfeld der Sinne
Bereich zwischen Hörschwelle und Unbehaglichkeitsschelle
Feld, in dem Gehörschutz getragen werden muss
Bereich des angenehmen Hörens
Was versteht man unter Hörschwelle?

die Verstärkung besonders leiser Töne
der gerade erforderliche Schalldruckpegel, der eine Hörempfindung auslöst
die Schwelle, ab der es zu laut wird
der Bereich des angenehmen Hörens
Welche Sprachlaute können bei einem hochgradigen Hörverlust ab 3000 Hz nicht gehört werden?

die meisten Vokale
Nasale wie [n] und [m]
Frikative („Zischlaute“) wie [f], [s], [S]
alle Sprachlaute
Warum sind Hörgeräte wichtig?

damit möglichst alle sprachrelevanten Anteile wieder hörbar werden
damit die Hörschädigung geheilt wird
damit sie in der Schublade liegen
damit die Industrie viel Geld verdient

Wie wir herausfinden können, was Babies und Kleinkinder hören

Die wichtigsten Lernziele bestehen darin:

zu wissen, welche Probleme bezüglich Diagnostik und Anpassung der technischen Hörhilfen in den ersten Lebensjahren bestehen
argumentieren zu können, warum eine Hörgeräteversorgung trotzdem so früh wie möglich erfolgen sollte
erkennen, wie Hörfähigkeit von Säuglingen und Kleinkindern im Alltag festgestellt werden kann

Hördiagnostik im 1. und 2. Lebensjahr

Durch die zunehmende Etablierung des Neugeborenen-Hörscreenings (NHS) (siehe Modul 1) werden die Kinder immer jünger, die für eine umfassende pädaudiologische Diagnostik und die anschließende Versorgung mit technischen Hörhilfen in Frage kommen. Die damit verbundenen Besonderheiten (z.B. besondere anatomische Voraussetzungen, Bedeutung der Hörbahnreifung, schwer einzuschätzende subjektive Hörreaktionen) müssen angemessen berücksichtigt werden und sind wesentliche Aspekte in der Elternberatung und der frühen Förderung.

Audiometrie bei Kindern unterscheidet sich in einigen Punkten ganz wesentlich von der Erwachsenenaudiometrie. Aufmerksamkeitsspanne und Kooperationsfähigkeit sind gegenüber Erwachsenen deutlich eingeschränkt. Kinder ermüden rascher als Erwachsene und verlieren schneller das Interesse an der Hörmessung. Ein Nicht-Reagieren bedeutet daher nicht immer ein Nicht-Hören. Es ist deshalb besonders wichtig, dass die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass die Audiometrie auch unter erschwerten Bedingungen gelingt. Dies bedeutet z.B. einen flexiblen Umgang mit dem Rhythmus der kindlichen Wach- und Schlafphasen. Säuglinge und Kleinkinder können mit dem entsprechenden pädagogischen Know-how so motiviert werden, dass – zumindest für kurze Zeit – Aufmerksamkeit und Konzentration für das Hören hergestellt wird. Hörmessungen müssen von den Kindern gelernt werden, d.h. die genaue Ermittlung der Hörschwelle ist in den seltensten Fällen im Rahmen einer einzigen Messung zu ermitteln, sondern dies bedarf häufiger Widerholungen.

Sowohl die Durchführung als auch die Auswertung der erhobenen Befunde erfordert eine genaue Kenntnis des geistigen und körperlichen Entwicklungsstandes des jeweiligen Kindes (siehe Modul 8), außerdem eine profunde Kenntnis der Entwicklung der Hörfunktion. Diese entwickelt sich in den ersten Lebensjahren permanent weiter, altersabhängige Hörreaktionen sind bei der Interpretation der Ergebnisse audiometrischer Daten unbedingt zu berücksichtigen. So beträgt die Reiz-Reaktionsschwelle eines Neugeborenen ca. 80 dB im Freifeld (FF), mit 3 Monaten ca. 60 dB im FF, mit 6 Monaten ca. 40-50 dB im FF, mit 1 Jahr ca. 30-40 dB im FF und mit 3 Jahren ca. 20 dB bezogen auf die Luftleitung. Die Hör- bzw. Reaktionsschwelle des Erwachsenen wird erst im Alter von ca. 6 Jahren erreicht.

Solange das Kind uns keinerlei verbale Rückmeldung bezüglich seiner Höreindrücke geben kann, kann Diagnostik nur eine alters- und entwicklungsabhängige, kontinuierliche Verlaufsdiagnostik sein. Hierzu gibt es harte Daten wie die Ergebnisse der objektiven Audiometrie wie die Messung otoakustischer Emissionen (OAE) und die Hirnstammaudiometrie (BERA) (siehe Modul 1), die lediglich einen Teil der benötigten Daten liefern. Zurzeit lassen sich aus beiden Verfahren nur bedingt Rückschlüsse auf die tatsächliche Hörschwelle ziehen.

Hinzu kommt die subjektive Audiometrie, die in diesem Alter weitgehend auf Verhaltensbeobachtung basiert. Hierzu zählen die Reflexaudiometrie und die Verhaltens- und Beobachtungsaudiometrie mit und ohne visuelle Belohnung.

Hierbei ist wichtig zu wissen, dass unbedingte Reflexe nur bei sehr hohen Schallpegeln von 70 – 90 dB ausgelöst werden. Da bei der Schallempfindungsschwerhörigkeit laute Töne praktisch normal gehört werden, kann ein geringerer Hörverlust mit dieser Methode nicht bemerkt werden, d.h. normale Reflexe auf laute Töne lassen keine Aussage bezüglich der Hörschwelle zu. Die Hörfähigkeit wird durch Beobachtung der verschiedenen Reaktionen des Kindes auf die akustische Stimulation beurteilt. Verschiedene Reflexe können hierbei durch akustische Reize ausgelöst und beobachtet bzw. gemessen werden:

Moro-Schreck-Reflex (Schüttelbewegung der Arme und Beine, das Kind Arme und Beine streckt von sich und zieht diese dann wieder an den Körper)
Auropalebral-Reflex (Anspannung der Augenlider bei geschlossenen Augen oder schnelle Schließung bei geöffneten Augen)
Atemreflex (tiefe Einatmung gefolgt von 5-10sekundigem Atemstillstand, nach dem die Atmung sich wieder normalisiert)
Stapediusreflex
Die unbedingten Neugeborenenreflexe werden zwischen dem 3. und 5. Lebensmonat abgebaut. Es entwickeln sich dann erste Orientierungsreaktionen. Bei der Verhaltens- und Beobachtungsaudiometrie geht es dann um die Ermittlung reproduzierbarer Reaktionen auf akustische Signale in Form von Verhaltensänderungen. Mögliche Reaktionen können sein:

Veränderungen der Mimik
Kopfdrehung oder –bewegung
Bewegung der Augen oder Augenbrauen
Saugaktivität: Innehalten oder verstärktes Nuckeln
Veränderungen der Atmung
Arm- und/oder Beinbewegung
Für die Interpretation der in diesem Verfahren erhaltenen Antworten müssen die Untersucher große Erfahrung besitzen. Auch die Verhaltens- und Beobachtungsaudiometrie liefert keine vollständigen Daten. Die auf diese Weise ermittelte Hörkurve stellt lediglich eine Reaktionsschwelle dar, da Kinder in diesem frühen Alter noch nicht angeben können, wann sie einen Ton gerade gehört haben. Sie zeigen in der Regel erst dann eine Reaktion, wenn der Ton etwas lauter und deutlicher wahrzunehmen ist. Ist die Antwort positiv, bedeutet dies noch nicht, dass ein normales Hören vorhanden ist. Bleibt die Antwort aus oder erfolgt sie stark verzögert, bedeutet dies ebenfalls nicht zwingend, dass eine Hörschädigung vorliegt. Daher reichen die in diesem Alter aus Reflex- und Verhaltensbeobachtungsaudiometrie abgeleiteten Reaktionen auf akustische Reize allein weder für eine Hörgeräte-Anpassung noch für eine Indikationsstellung zu einer CI-Versorgung aus.

Um diese Daten wirklich zu harten Daten werden zu lassen, müssen in dieser frühen Phase weiche Daten wie die systematisierte Verhaltensbeobachtung in unterschiedlichen Situationen miteinbezogen werden. Dazu gibt es Verfahren wie die videogestützte Analyse von Interaktionsprozessen oder Fragebogeninventare. Reiz- und situationsabhängige Hörleistungen müssen in der Audiometrie und im Alltag des Kindes (Familie, Tagesmutter, Krabbelgruppe, Kinderkrippe usw.) erfasst und dokumentiert werden. Sie sollten als Basisdaten für die Hörgeräteoptimierung und für die Gestaltung eines individuellen Förderangebotes erhoben, dokumentiert, genutzt und evaluiert werden (siehe Kapitel  4).

Auch bei Kleinkindern ist es sehr wichtig, in Erfahrung zu bringen, wie gut das jeweilige Resthörvermögen für die Sprachwahrnehmung genutzt werden kann. Es muss überprüft werden, wie das Kind Sprache hört und auditorisch wahrnimmt. Dies ist jedoch erst möglich, wenn das Kind bereits in seiner Sprachentwicklung so weit vorangeschritten ist, dass es das Sprachmaterial der Sprachaudiometrie in seinen Wortschatz aufgenommen hat, denn es muss nachsprechen oder auf vor ihm liegende Bildkarten zeigen, was es gehört hat. Eine Alternative könnte hierbei das von der Eargroup Antwerpen (http://www.eargroup.net/) entwickelte Verfahren A§E (The Auditory Speech Sound Evaluation) sein. Hier wurde aus isolierten Sprachlauten (Phonemen), die in vielen Sprachen vorkommen, ein Testmaterial zur Entdeckung, Diskrimination und Identifikation zusammengestellt, das unabhängig vom Sprachentwicklungsstand und der jeweiligen Muttersprache eingesetzt werden kann.

Eine andere Möglichkeit ist der so genannte Ling- Test des kanadischen Audiologen Daniel Ling. Dieser sehr einfach durchzuführende Test, liefert sehr verlässliche Aussagen. Es werden die sechs Phoneme [A], [i], [u], [s] [m] und [S] verwendet, die sich in ihrer Frequenz unterscheiden und dabei den gesamten Frequenzbereich repräsentieren. Sie decken das gesamte Sprachspektrum ab, das man hören muss, wenn man die Lautsprache verstehen will. Das Kind sollte in der Lage sein, diese sechs Laute akustisch voneinander zu unterscheiden. Dem Kind wird jeweils mit normaler Sprechlautstärke ein Laut vorgesprochen. Der Abstand vom Kind kann dabei individuell festgelegt werden. Je nach Alter und Sprachkompetenz zeigt das Kind an, ob es den Laut gehört hat, es spricht den Laut einfach nach oder zeigt auf das dazugehörige Bild. Kann das Kind alle Laute gut diskriminieren, kann man davon ausgehen, dass es aus audiologischer Sicht in der Lage ist, die wichtigsten auditiven Elemente der Lautsprache zu hören.

Abb. 2: Phonemverteilung des 6-Sprachlaute Tests nach Ling

Anpassung technischer Hörhilfen in den ersten Lebensjahren

Eine wichtige Voraussetzung für eine gelungene Hörgeräteanpassung bei Kindern ist zunächst die richtige Diagnose der Hörschädigung und eine möglichst genaue Kenntnis der Hörschwelle. Genau diese Ermittlung einer zuverlässigen Hörschwelle gestaltet sich oft als schwierig (siehe Kapitel 3.1). Eine Anpassung von Hörgeräten muss zunächst mit unvollständigen Daten realisiert werden. Hinzu kommt, dass das Hören besonders in den ersten Lebensjahren einer permanenten Weiterentwicklung unterliegt. Auch wenn bei Säuglingen und Kleinkindern das tatsächliche Ausmaß der Hörschädigung noch nicht sicher ermittelt werden kann, sollte dennoch die Hörgeräteversorgung eingeleitet werden. Es müssen aber im weiteren Verlauf häufige diagnostische Maßnahmen begleitend eingesetzt werden und die Ergebnisse im Sinne einer „gleitenden Anpassung“ berücksichtigt werden. Die Anpassung ist ein Prozess, der sich über mehrere Monate erstreckt. Anfangs geht es v.a. darum überhaupt eine Hörreaktion zu erreichen. Hierbei wird man sehr vorsichtig vorgehen. In den Folgeanpassungen wird man versuchen, die Grenzen zu erweitern und die bestmögliche Einstellung finden, um optimale Voraussetzungen für den Spracherwerb zu schaffen. Dank moderner, nicht linearer Hörgerätetechnik (siehe Modul 3) besteht heutzutage weniger die Gefahr, dass dem Kinderohr zu hohe Schallpegel zugeführt werden, da laute Signale deutlich weniger verstärkt werden als leise. Dadurch steht jetzt die Frage nach einer ausreichenden Stimulation des Hörnervs im Hinblick auf einen Hör-Spracherwerb, der dem hörender Kinder gleich kommt.

Auch bei der Anpassung haben wir harte Daten, die uns Auskunft geben, welche Eigenschaften das Hörgerät oder CI hat und wie es angepasst bzw. programmiert ist. Diese allein sind jedoch nicht ausreichend. Hochgradig hörgeschädigte Säuglinge und Kleinkinder sind in dieser frühen Phase noch nicht in der Lage, Rückmeldungen bezüglich der Wirksamkeit der Hörhilfe zu geben. Sie haben keine Hörerfahrung als Vergleichsgröße – im Gegenteil sie sollen mit der jeweiligen technischen Hörhilfe erstmals das Hören lernen. Hier helfen ebenfalls nur differenzierte Verhaltensbeobachtungen in unterschiedlichen Hörumgebungen im Alltag. Eine ständige Kontrolle unter Berücksichtigung der Beobachtungen der Eltern und anderer Bezugspersonen ist wichtig, um schrittweise die bestmögliche Hörgeräte-Einstellung zu erreichen (siehe Kapitel  4).

Es ist in dieser Phase sehr entscheidend, die Eltern für die Bedeutung der Hörtechnik zu sensibilisieren, indem ihnen bewusst gemacht wird, was das Kind mit und ohne technische Hörhilfen hören kann (siehe Kapitel 2.2). Sie müssen lernen, wie sie die Technik managen können und was z.B. zu tun ist, wenn das Hörgerät beim Stillen oder Füttern des Babys pfeift.

Wird das Hörgerät von einem Kind abgelehnt, so kann dies an der neuen, ungewohnten Situation liegen oder aber Ursachen haben, die dringend behoben werden sollten (z.B. Ohrpassstück drückt, Entzündung oder Allergie im Gehörgang, falsche Einstellung des Hörgeräts) (siehe Modul 3). Besonders in den ersten Wochen und Monaten sind engmaschige Kontrollen durch den Audiologen oder die Klinik notwendig.

Zusammenfassung

Hördiagnostik und die Versorgung mit technischen Hörhilfen ist bereits im 1. Lebensjahr eine Notwendigkeit, damit die Chance der Früherkennung durch die Etablierung des Neugeborenen-Hörscreenings wirklich genutzt wird. Es ist deutlich geworden, dass wir bezogen auf die frühe Kindheit noch Entwicklungsbedarf haben, wie geeignete diagnostische Verfahren für diese Altersstufe aussehen. Feststeht, dass die Messparameter allein derzeit nicht ausreichend sind und weiche Daten besonders in der frühen Kindheit, wenn die Kinder uns noch keine Rückmeldung bezüglich ihres Höreindrucks geben können, eine hohe Relevanz haben. Entscheidend ist eine kontinuierliche Verlaufsdiagnostik, in der nicht nur die Anpassung der technischen Hörhilfen optimiert wird, sondern auch die Entwicklungsbereiche Hören, Beziehungsentwicklung, Sprachentwicklung Sozialentwicklung förderdiagnostisch begleitet werden.

Evaluation

In welchem Alter erreicht die Hörschwelle von Kindern die Hörschwelle des Erwachsenen?

mit 3 Jahren
mit 6 Jahren
sofort bei Geburt
mit 1 Jahr
Warum ist die Aussagekraft der Verhaltens- und Beobachtungsaudiometrie begrenzt?

weil die Kinder nur auf sehr hohe Schallpegel überhaupt reagieren
weil die Interpretation durch verschiedene Personen erfolgt
weil Babies und Säuglinge sich nicht gerne beobachten lassen
weil auch bei positiven Reaktionen nicht automatisch auf ein normales Hörvermögen geschlossen werden kann
Was ist kein schlagkräftiges Argument gegen eine Hörgeräteanpassung bei Säuglingen?

ungenügende Information über den Verlauf der Hörschwelle
mangelnde Kooperation des Kindes
unterschiedliche anatomische Verhältnisse des Gehörgangs
junges Lebensalter des Kindes (z.B. 3 Monate)
Womit kann man einschätzen, ob die wichtigsten Elemente der Lautsprache gehört werden?

mit Hilfe der objektiven Audiometrie (OAE, BERA-Messung)
gar nicht, da das Kind uns dies noch nicht sagen kann
mit Hilfe der Aufblähkurve
mit Hilfe des Ling-Tests
Wie kann die Wirksamkeit der Hörgeräteversorgung bei einem Baby von 6 Monaten beurteilt werden?

durch Sprachentwicklungstests
durch Auslesen der Hörgeräteparameter in der Messbox
durch Fragebogeninventare zur Beurteilung der Hörentwicklung im Alltag
durch sichere Lokalisation der Schallquelle

Anleitung, wie man das Hören von Kindern mit Hörschädigung unterstützen kann

Die wichtigsten Lernziele bestehen darin:

wesentliche Meilensteine der Hörentwicklung kennen
Kriterien zu haben, wie die Hörentwicklung des hörgeschädigten Kindes dokumentiert werden kann
zu verstehen, wie durch den Einsatz von Entwicklungsprotokollen die hörtechnische Versorgung und die Frühförderung evaluiert werden können

Meilensteine der Hörentwicklung

Wie sich die Hörfunktion entwickelt, wie aus funktionalem Hören verstehendes Hören wird, ist nicht nur eine Folge von Reifungsprozessen, sondern v.a. davon abhängig, dass im richtigen Zeitfenster die richtigen Lernangebote gemacht werden. Um den Verlauf der Hörentwicklung beim hörgeschädigten Kind beurteilen zu können, ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, wie die Entwicklung der Hörfunktion beim hörenden Kind verläuft.

Bei hörenden Kindern beginnt die Hörentwicklung beginnt bereist in den letzten vier Monaten der Schwangerschaft. Prälingual gehörlosen Kindern fehlt möglicherweise diese frühe Hörerfahrung. Insbesondere im ersten und zweiten Lebensjahr finden wichtige Prozesse in der physiologischen Reifung der Hörbahn statt, die die Voraussetzung für die Entwicklung einer normalen auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung sind.

Wie in 3.1 beschrieben, reagieren neugeborene Kinder zunächst nur auf sehr laute Schallereignisse. Bis zum 5. Monat erfolgt nicht unbedingt eine unmittelbare Antwort auf laute Sprache, wenn diese von außerhalb des Sichtbereichs kommt. Es kann sein, dass das Baby nur ein- oder zweimal auf das Hörangebot reagiert und später auf das gleiche Angebot nicht mehr. Zunächst wird das Kind wahrnehmen und entdecken, dass es eine akustische Umwelt gibt und Höreindrücken zunehmend mehr Aufmerksamkeit schenken. Es hält möglicherweise kurz inne, hört auf sich zu bewegen und horcht. Es unterscheidet zwischen dem Wahrnehmen eines Geräusches und der Stille. Mit drei Monaten kann es vermehrt auch leisere Schallreize wahrnehmen. Besondere Bedeutung in dieser Phase hat die Stimme der Eltern. In dieser frühen Phase weiß auch das hörende Kind noch nicht, dass Geräusche oder Sprache Bedeutung haben. Mit etwa sechs Monaten ist ein hörendes Kind in der Lage, sich der Schallquelle zuzuwenden. Es beginnt die Geräuschquelle zu suchen. Die Fähigkeit zur Schalllokalisation ist bedeutend für das räumliche Hören und bildet einen der wesentlichen Meilensteine in der Hörentwicklung eines Kindes. Mit sechs Monaten werden die Antworten des Kindes deutlicher. Es zeigt Interesse für Musik. Das Kind entdeckt seine eigene Stimme und im Alter von neun Monaten kann es bereits die Stimmen bekannter Personen voneinander unterscheiden. Es erkennt verschiedene Geräusche des täglichen Lebens und reagiert entsprechend auf diese. Es erkennt die Prosodie der Sprache wie Dauer, Tonhöhe, unterschiedliche Lautstärken, Rhythmus und Betonung. Es horcht, wenn es angesprochen wird.

Weitere Schritte sind die die Fähigkeit zur Unterscheidung von Gleichheit und Unterschieden von zwei oder mehreren sprachlichen Äußerungen, d.h. das Kind muss lernen die Reihenfolgen sprachlicher Äußerungen zu beachten. Die Hörentwicklung geht jetzt Hand in Hand mit der Sprachentwicklung (siehe Modul 8). Das Kind erlangt die Fähigkeit, den Namen eines Gegenstandes zu wiederholen, auf ihn zu zeigen oder einen Auftrag auszuführen. Es kann die Ling-Laute erkennen und unterscheiden, Wörter mit unterschiedlicher Silbenzahl sowie Wörter mit gleichen Vokalen aber unterschiedlichen Konsonanten und umgekehrt identifizieren. Es versteht täglich wiederkehrende Aufträge und in der Familie übliche Ausdrücke (z.B. es zeigt auf Körperteile, wenn es danach gefragt wird). Es versteht einfache Aufforderungen und Fragen (z.B. „Gib mir den Ball“, „Gib der Puppe einen Kuss“, „Wo ist dein Schuh?“). Das Verstehen der Sprache über das Ohr zeigt sich z.B. durch das Beantworten von Fragen, wobei das Kind nicht die gleiche Formulierung gebrauchen muss wie der Fragende. Das Kind will Geschichten erzählt oder vorgelesen bekommen und versteht diese. Es zeigt auf Bilder in einem Bilderbuch, wenn diese benannt werden. Es kann zunehmend mehrgliedrige Aufträge ausführen und wird immer mehr zu einem kompetenten Gesprächspartner. Es versteht zunehmend auch Sprache, die nicht direkt an das Kind gerichtet ist, wenn die Eltern telefonieren (Schmid-Giovannini o.J.). Die folgende Tabelle fasst dies noch einmal zusammen:
Entwicklung des Hörens
Geburt
Wahrnehmen von Höreindrücken

Auditive Aufmerksamkeit

Lokalisation des Höreindrucks

Diskrimination von Höreindrücken

Auditives Feedback-System

Erkennen der eigenen Stimme

Aufnahme von Reihenfolgen

Verstehen von Sprache

5. Lebensjahr
Hörverstehen auf hohem Niveau
Tabelle 1: Entwicklungsabfolge von Hören und Sprechen (Schmid-Giovannini o.J.)

Hörentwicklung beim hörgeschädigten Kind

Das hörgeschädigte Kind durchläuft die gleichen Stufen wie das hörende Kind. Um das hörgeschädigte Kinde weder zu unter- noch zu überfordern, ist es wichtig, zu wissen, auf welcher Stufe das hörgeschädigte Kind steht und welcher Schritt als Nächster zu erwarten ist. Dann erst kann die Frage gestellt werden, wie dieser Schritt erreicht werden kann. In diesem Zusammenhang ist weniger das chronologische Alter des Kindes als vielmehr sein Höralter ausschlaggebend. Höralter bedeutet den Zeitraum ab dem Beginn der ersten Hörgeräteanpassung bzw. der ersten Programmierung des Sprachprozessors. So hat beispielsweise ein einjähriges Kind, das mit sechs Monaten Hörgeräte oder ein CI bekommen hat, ein Höralter von ca. sechs Monaten. Wie schnell ein Kind anfängt zu hören und Sprache über das Ohr erkennen lernt, wie schnell es beginnt, diese zu entwickeln ist von vielen individuellen Faktoren abhängig.

Hat das Kind Hörgeräte bekommen, erwarten die Eltern häufig eine schnelle Wirkung. Sie erhoffen sofortige Akzeptanz und deutlich sichtbare Reaktionen. Hörgeräte oder ein CI ermöglichen es dem Kind, qualitativ gut zu hören, aber noch nicht eindeutig erkennen, was sie hören und woher es kommt. Erst in der Verbindung mit der Handlung, den Objekten und Subjekten wird die Bedeutung des Gehörten deutlich. Dabei ist es sehr wichtig, sensibel kleinste Schritte der Hörentwicklung wahrzunehmen und jede Hörreaktion des Kindes positiv zu verstärken, wenn es lauscht, auf Geräuschquellen reagiert, sich umdreht, nachahmt. Eltern und Fachleute müssen darauf vertrauen, dass das hörgeschädigte Kind hören lernen kann, wenn alle oben genannten Aspekte berücksichtigt werden.

Wie man die Hörentwicklung verfolgen kann und sicherstellt, dass sie auf dem richtigen Weg ist

Hörschädigungen können heutzutage durch das Neugeborenen-Hörscreening frühzeitig erkannt und versorgt werden (siehe Modul 1). Ob die Hörgeräteversorgung ausreichend ist oder ob sie optimiert werden sollte, ob frühzeitig die Versorgung mit einem CI ansteht, kann nur beurteilt werden, indem die Hörentwicklung sorgfältig dokumentiert wird. Es ist wichtig, den Eltern, Tagesmüttern und Erzieherinnen Kriterien an die Hand zu geben, wie sie die Antworten des Kindes auf auditive Reize erkennen können und wovon dies abhängt. Um zu sehen, auf welcher Stufe der Hörentwicklung das Kind sich befindet, und ob Entwicklung stattfindet oder stagniert, gibt es eine Reihe von Fragebogeninventaren, die z.T. in mehreren Sprachen erhältlich sind. In diesen Fragebögen werden Eltern, Tagesmütter, Erzieher und Frühförderer als Beobachter angesprochen, um gezielt die Hörreaktionen und das Hörverhalten des Kindes anhand von Leitfragen zu beantworten und damit bestimmte Meilensteine zu dokumentieren. Es ist nicht die Aufgabe der Erzieher die Protokolle auszufüllen. Sie sollten lediglich wissen, dass es diese Verfahren gibt und darauf achten, dass Eltern und Fachkräfte diese sorgfältig nutzen. Beispiele für Fragebogensammlungen sind:

Dokumentation der Hörentwicklung

LittlEARS-Hör-Fragebogen (MED-EL 2003)

Der „LittlEARS Hör-Fragebogen“ ist ein Elternfragebogen zur Erfassung der frühen Hörentwicklung von Kindern nach dem Neugeborenen-Hörscreening von der Geburt bis zu 24 Monaten, bzw. von Kindern mit CI oder Hörgerät mit einem Höralter von 0 bis 24 Monaten im alltäglichen Umfeld. Er ist das erste Modul der „LittleEARS Batterie“, die darauf abzielt, die vorsprachliche Hörentwicklung bei sehr kleinen Kindern zu erfassen. Er besteht aus 35 Fragen, die von den Eltern lediglich mit ja oder nein beantwortet werden sollen. Die Anzahl der mit ja beantworteten Fragen ergibt einen Gesamtscore, der mit dem jeweiligen Höralter korreliert. Dieser wird mit den aufgeführten kritischen Werten verglichen. Erreicht ein Kind einen Wer über dem Mindestwert (d.h. den Wert, den das Kind in diesem Höralter mindestens erzielen sollte), kann von einer altersgemäßen Hörentwicklung ausgegangen werden.

Der „LittlEARS Hör-Fragebogen“ ist in folgenden Sprachen erhältlich: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Bulgarisch, Holländisch, Finnisch, Norwegisch, Serbisch, Slowakisch, Slowenisch und Türkisch.

Mein LittlEARS-Tagebuch (MED-EL 2005)

In „Mein LittleEARS Tagebuch“ werden Informationen über die frühe Hör-, Sprech- und Sprachentwicklung gesammelt. Es dient der Aufzeichnung der Informationen und der Bewertung der frühen Entwicklung hörgeschädigter Kinder mit Hörgerät oder CI. Diese Informationen bilden die Basis für Forschung und Therapie.

Es enthält:

ein Tagebuch für die Eltern mit Anleitungen zur gezielten Beobachtung des kindlichen Verhaltens
ein Elternhandbuch mit einer Beschreibung des Tagebuchs
ein Handbuch für den Therapeuten mit einer Übersicht über die Meilensteine der Hörentwicklung in den beiden ersten Lebens- bzw. Hörjahren
eine Anleitung zur Verwendung des Tagebuchs in der therapeutischen Praxis
Tagebuchübersichtsbögen zur Dokumentation von Fragen und Beobachtungen aus dem Tagebuch und Berichten der Eltern
eine Liste der „ersten Wörter“ des hörgeschädigten Kindes
„Mein LittlEARS Tagebuch“ ist in Deutsch und Englisch erhältlich.

Monitoring Protocol for Deaf Babies and Children (Lewis et al 2006)

Das Monitoring Protocol for Deaf Babies and Children von ist Teil des zentralen und gut evaluierten Regierungsprogramms Early Support in Großbritannien (www.earlysupport.org.uk). Es dient dazu Entwicklungsfortschritte des hörgeschädigten Kindes für das Alter 0-3 Jahre zu erkennen, zu dokumentieren und zu wissen, welcher Entwicklungsschritt als nächster kommt. Es bildet die Grundlage für Diskussionen und Entscheidungsfindung zwischen Eltern und unterschiedlichen Fachdisziplinen. Es besteht aus einem umfangreichen Handbuch zur Verwendung des Protokolls und dem eigentlichen Protokoll mit Übersichtstabellen und sehr ausführlichen und konkreten Checklisten zur Verhaltensbeobachtung in den Bereichen Kommunikation, Aufmerksamkeit, Lauschen und Vokalisation, Sozial-emotionale Entwicklung, Andere Meilensteine der Entwicklung und Spiel. Besonders differenziert und detailliert werden diejenigen Bereiche erfasst, die von der Hörschädigung beeinflusst werden. Hier wird noch einmal zwischen Aufmerksamkeit, Lauschhaltung / Horchen und Vokalisation / Lautentwicklung unterschieden. Außerdem enthält es Zusammenfassungen aller Entwicklungsmerkmale, mit deren Hilfe man die einzelnen Entwicklungsbereiche vergleichen kann und Entwicklungsprofile mit farblicher Kennzeichnung, um Fortschritte und auch unterschiedliche Entwicklungsniveaus zum gleichen Zeitpunkt sichtbar zu machen.

ELF – Early Listening Function (Anderson K.L 2002)

http://www.phonak.ch/ccch/professional-2/pediatrics/diagnostic.htm

ELF soll Eltern und Erziehern einen Einblick in das funktionelle Hören von Säuglingen und Kleinkindern ermöglichen. Es enthält sehr genaue Beschreibungen, wie bestimmte Beobachtungen im Alltag erhoben werden können. Es verfolgt drei Hauptziele:

Aktive Einbeziehung der Eltern /Empowerment
Beurteilen der Wirksamkeit der hörtechnischen Versorgung anhand von Alltagsbeobachtungen
Dokumentation der Fortschritte der Hörentwicklung
Auch bei ELF sollen die Antworten dem Frühförderteam zugänglich gemacht werden um das Frühförderprogramm auf die individuellen Bedürfnisse der Familie anzupassen. Die Hörreize sind nicht kalibrierte Signale, sondern es geht darum zu überprüfen, ob verschieden leise und laute Aktivitäten wie z.B. „Mami singt ein Lied“ aus fünf unterschiedlichen Entfernungen gehört werden bzw. eine Hörreaktion erfolgt. ELF berücksichtigt das Verstehen in Ruhe und im Störgeräusch. Es ist kein Diagnosewerkzeug oder formales Screeningverfahren, um eine Hörschädigung zu entdecken, und kann nicht akustische Messverfahren zur Verifikation der Hörgeräteanpassung ersetzen. Es sollen gemeinsam mit den Eltern und Erziehern Informationen gewonnen werden, wie das Kind seine Hörfähigkeiten in bestimmten Hörsituationen im Alltag des Kindes einsetzt.

Ein zweiter Bogen wird immer dann ausgefüllt, wenn eine neue Anpassung erfolgt, eine neue Map (CI-Programm) erstellt wurde oder Zusatztechnik wie die FM-Anlage eingesetzt wird. Auf einer fünfstufigen Skala sollen Veränderungen zu konkret benannten Hörreaktionen eingetragen werden.

Aus den Beobachtungen sollen in Zusammenarbeit mit den Audiologen / Frühförderern konkrete Fördermaßnahmen abgeleitet werden.

ELF ist in Englisch verfügbar.

Verifikation der hörtechnischen Versorgung

Es ist sehr wichtig, das Kind ernst zu nehmen, wenn es über Probleme mit Hörgerät oder CI klagt. Probleme können in technischen Einstellungen begründet sein oder aber  aus Problemen mit dem Ohrpassstück resultieren (siehe Modul 3). Zur Beurteilung von Hörreaktionen und Trageakzeptanz der Hörhilfen im Alltag werden ebenfalls Fragebogeninventare eingesetzt. Beispiel sind die von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe aus Deutschland erstellten Elternfragebögen, die in Deutsch und Englisch verfügbar sind und im Internet abgerufen werden können bzw. bei Widex Deutschland zu beziehen sind. Dies sollen einerseits helfen, Beobachtungen systematisch zu erheben, andererseits aber auch aufzeigen können, wo möglicherweise Problembereiche liegen. Auch ein Vergleich des Hörerfolges mit unterschiedlichen Hörgeräte-Typen im Alltag sowie eine Beobachtung der Hörentwicklung sollen anhand der Ergebnisse in den Fragebogen möglich sein. Es gibt unterschiedliche Inventare für das Alter 0-3 und 3-6:

Fragebogen und Anleitung der Eltern für den Einsatz bei Säuglingen und Kleinkindern, die bisher noch nicht selbst sprechen:
Beobachtungsfragebogen
observationquestionaire english
Fragebogen für den Einsatz bei Kindern im Alter von 3-6 Jahren, die bereits angefangen haben lautsprachlich zu kommunizieren:
Elternfragebogen Modul 2 Teil1
Elternfragebogen Modul 2 Teil 2
parentquestionaire part 1 english
parentquestionaire part 2 english
Hier wird sehr konkret nach Einsatz, Akzeptanz und Problemen bei der Hörgeräteversorgung gefragt. Vier Auswahlantworten sollen den Eltern oder Erziehern helfen, ihre Beobachtungen gezielt durchzuführen. Die Fragen sollen von den Eltern zu Hause beantwortet werden und die Antworten können dann von den betreuenden Fachleuten bei der Besprechung mit den Eltern in eine Auswertetabelle übertragen werden.

Neben der Hörentwicklung ist auch die Entwicklung sind anderen Entwicklungsbereichen wie die Entwicklung von frühkindlicher Eltern-Kind Interaktion, Sprache, Kognition, Motorik, Spiel und sozial-emotionalem Verhalten zu beobachten und zu dokumentieren (siehe Modul 8).

Zusammenfassung

Hörgeschädigte Kinder durchlaufen dieselben Stufen der Hörentwicklung wie hörende Kinder, jedoch nicht unbedingt im gleichen chronologischen Alter. Eine Kenntnis der Entwicklungsabfolge ist hilfreich um zu beurteilen, welcher Lernschritt der nächste ist. Eine qualitative Erfassung der Hörentwicklung bezieht ihre Daten zum großen Teil aus dem Alltag des Kindes und seinem Hörverhalten in unterschiedlichsten Situationen. Fragebogeninventare und Entwicklungsprotokolle leisten einen entscheidenden Beitrag zur Evaluation der Hörtechnik und der Frühförderung im Alter von 0-3.

Evaluation

Welche Hörfunktionen können von einem 2 Monate alten Säugling erwartet werden?

sichere Lokalisation der Schallquelle
sichere Reaktion auf leise Schallereignisse
deutlich sichtbare Reaktion auf laute Schallereignisse
Gezielte Aufmerksamkeit auf akustische Ereignisse
Welche Hörfunktionen können von einem 6 Monate alten Säugling erwartet werden?

sichere Lokalisation der Schallquelle
sichere Reaktion auf leise Schallereignisse in geräuscherfüllter Umgebung
deutlich sichtbare Reaktion nur auf laute Schallereignisse
Unterscheidung von Wörtern, die ähnlich klingen
Wie kann man frühzeitig feststellen, dass Hörentwicklung stattfindet?

regelmäßige Durchführung der Tonaudiometrie
durch die objektive Audiometrie
durch den Vergleich mit der Sprachentwicklung
durch Beobachtung und Dokumentation von Hörreaktionen im Alltag mit Hilfe von Fragebögen oder Entwicklungsprotokollen
Was muss man tun, wenn die Hörentwicklung stagniert?

abwarten, denn Kinder brauchen unterschiedlich lange Zeit
Optimierung der Hörtechnik und Evaluation der Frühförderung
ein sofortiges intensives Hörtraining einleiten
das Kind in eine Spezialeinrichtung für Hörgeschädigte schicken

Akustische Rahmenbedingungen in der frühen Kindheit

Die wichtigsten Lernziele bestehen darin:

Einflussfaktoren zu kennen, die die Verständlichkeit in geschlossenen Räumen beeinflussen
zu verstehen, warum eine schlechte Raumakustik für das hörgeschädigte Kind noch viel belastender ist als für hörende Menschen
Möglichkeiten der Optimierung zu kennen und diese situationsadäquat einsetzen zu können

 Einflussfaktoren auf die Sprachverständlichkeit in geschlossenen Räumen

Die Umgebung, in der das Kind Sprache aufnehmen soll, ist nicht immer ideal. Umweltgeräusche können das Verstehen der Sprache sehr erschweren, manchmal sogar unmöglich machen. Die Akustik eines Raums trägt entscheidend dazu bei, wie Gehörtes aufgenommen und dem Gehirn präsentiert wird. Es ist deshalb besonders wichtig die Bedingungen so günstig wie möglich zu gestalten. Die akustischen Bedingungen in einer Umgebung sind dann besonders gut, wenn in verschiedenen Situationen Geräusche, Musik oder Sprache gut hörbar und erkennbar sind. Faktoren, die das Hören und Verstehen gesprochener Sprache massiv behindern bzw. stören und meist in Kombination auftreten, sind Störschall, Entfernung und Nachhall.

Störschall

Auch kleine Kinder sind häufig in Umgebungen, die selten absolut ruhig sind. Selbst wenn sich in einem Raum niemand befindet, ist in diesem Raum ein gewisser Geräuschpegel vorhanden. Sobald sich mehrere Personen in einem Raum aufhalten, steigt die Intensität der Hintergrundgeräusche sprunghaft an. Zu Hause kommt weiterer Störlärm von Tonträgern, Fernsehen, Haushaltsgeräten, Heizung, Toilettenspülungen, Klimaanlagen oder Ventilatoren sowie durch geöffnete oder schlecht schallgedämmte Fenster Lärm von außen wie z.B. eine laute, stark befahrene Straße hinzu. Sind mehrere Kinder in der Wohnung bzw. in einem Raum entstehen hier rasch höhere Schallpegel durch Geräusche erzeugendes Spielzeug und die Kinder selbst, die reden, rufen, schreien, weinen, lachen und vieles mehr. Ähnliches gilt für die Situation im Kindergarten. Gleichbleibende, nicht zu laute Dauergeräusche wie Klimaanlagen oder Ventilatoren lernt das hörgeschädigte Kind leichter zu überhören, auch wenn sie das Hören und Verstehen erschweren. Sehr störend ist es aber, wenn z.B. während des Vorlesens einer Geschichte der neben dem hörgeschädigten Kind sitzende Nachbar laut spricht. Unmöglich wird das Verstehen eines Gespräches bei Tisch, wenn mehrere Personen sich gleichzeitig laut unterhalten und womöglich quer über den Tisch gesprochen wird.

Um Sprache gut verstehen zu können, sollte der Störschallpegel nicht höher als 45 dB betragen. In der Realität finden sich häufig Werte zwischen 60 und 80 dB. Letzteres entspricht dem Pegel an einer stark befahrenen Straße. Diese Situation ist für das hörgeschädigte Kind insofern besonders belastend, als es – um gut verstehen zu können – eine noch bessere Trennung von Nutzsignal und Störschall benötigt als gut hörende Menschen. Was dies konkret bedeutet, soll an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Wenn der mittlere Störschallpegel in einem Raum 55 dB beträgt (das entspricht einer leisen Unterhaltung Erwachsener) und der mittlere Nutzschallpegel, z. B. die Stimme der Mutter oder der Erzieherin 65 dB (dies entspricht normallauter Umgangssprache), dann liegt ein Nutzschall-Störschallverhältnis von + 10 dB vor. Das bedeutet der Nutzschall ist um 10 dB lauter als der Störschall, an manchen Stellen im Raum möglicherweise auch 5 oder 0 dB. Optimal für das hörgeschädigte Kind ist aber ein Nutzschall-Störschall Verhältnis von mindestens +15-20 dB, d.h. das Nutzsignal sollte 15-20 dB lauter sein als der Störschall. Hörende Menschen sind in der Lage auch bei einem ungünstigen Nutzschall-Störschallverhältnis noch gut zu verstehen, da sie über genügend Sprachwissen verfügen um die möglicherweise entstandenen Wahrnehmungslücken zu schließen. Genau dies ist für das hörgeschädigte Kind unverhältnismäßig schwieriger. Es kann in einer lärmigen Umwelt nur lückenhaft verstehen.

Entfernung

Je größer die Entfernung zwischen einer Schallquelle und einem Zuhörer wird, desto schwächer wird die bei ihm ankommende Schallenergie, d.h. desto geringer wird die Lautstärke sein. Es gilt die Faustregel, dass mit der Verdoppelung der Entfernung die Intensität der Stimme des Sprechers um 6 dB abnimmt. Ein Beispiel verdeutlicht die starke Abnahme des Nutzsignals: Spricht ein Sprecher normal laut, dann beträgt die Intensität in einem Meter Entfernung ca. 65 dB, in zwei Metern 59 dB, in vier Metern 53 dB usw. Kinder, die in der Nähe des Sprechers sitzen, werden vielleicht rund 80 % seiner Sprache noch gut wahrnehmen können. Kinder, die weiter weg sind, werden sich dagegen möglicherweise mit nur noch 60 % begnügen müssen. Zu Hause wird dies deutlich, indem das hörgeschädigte Kind jedes Wort versteht, wenn es auf dem Schoß der Mutter sitzt und die beiden gemeinsam ein Bilderbuch anschauen. Steht die Mutter aber in der Küche, die Spülmaschine läuft und das Kind spielt im Kinderzimmer am anderen Ende der Wohnung, dann wird das hörgeschädigte Kind auch mit den besten digitalen Hörgeräten oder dem CI nicht vollständig verstehen, was die Mutter sagt, es wird vielleicht gerade noch mitbekommen, wenn es gerufen wird. Im Kindergarten zeigt sich dies z.B. im Stuhlkreis, dort haben die Kinder, die nahe bei der Erziehern sitzen deutlich bessere Chancen, diese uneingeschränkt zu verstehen. Digitale Hörsysteme und das CI können vieles wieder hörbar machen, die Reichweite ihrer Mikrofone ist jedoch begrenzt. Deshalb stoßen sie über größere Distanz und im Störschall nach wie vor an Grenzen.

Nachhall

Nachhall entsteht durch wiederholtes Reflektieren von Schall und gilt als Maß für die Halligkeit eines Raumes. Die Nachhallzeit bewirkt, dass Schallereignisse in einem geschlossenen Raum über längere Zeit wahrnehmbar bleiben. Ein Teil der Schallwellen gelangt direkt an das Ohr, ein großer Teil wird jedoch je nach Beschaffenheit von Wänden, Decken und Fußböden zurückgeworfen oder geschluckt. Wie viel Schall reflektiert bzw. absorbiert wird, das hängt von der jeweiligen Raumakustik ab.

Herrscht in einem Raum ein zu starker Nachhall bzw. ein zu lange Nachhallzeit, so hat man auch als hörender Mensch Probleme Sprache gut zu verstehen. Jeder kennt die Situation an Bahnhöfen, wenn Ansagen über die Lautsprecher erfolgen, oder die Situation beim Einzug in eine neue Wohnung, die komplett leer ist. Bei langer Nachhallzeit werden beim Sprechen nachfolgende Silben, die zu lange nachklingen, durch die vorhergehenden verdeckt. Hochfrequente Konsonanten werden schneller absorbiert, sie werden also schlechter wahrgenommen, als die eher tieffrequenten Vokale, die länger reflektiert werden. Es kommt zu Verzerrungen des Sprachsignals, die die Sprachverständlichkeit verschlechtern. Zudem bleiben bei zu langer Nachhallzeit unerwünschte Geräusche wie Stühle rücken, husten, klappern mit Bauklötzen usw. zu lange im Raum, was bewirkt, dass der Lärmpegel insgesamt weiter ansteigt. Die optimale Nachhallzeit für Räume, in denen hörgeschädigte Personen an sprachlicher Kommunikation teilhaben, sollte nach heutigem Wissensstand 0,3 bis 0,4 Sekunden betragen. In vielen Kindergärten, in denen beim Bau mehr auf optische als auf akustische Kriterien Wert gelegt wurde, und in Altbauten mit hohen Wänden und glatten, schallharten Böden lassen sich häufig deutlich längere Nachhallzeiten nachweisen.

Maßnahmen zur Verbesserung

Von den Maßnahmen zur Verbesserung der Raumakustik profitieren alle im Raum, nicht nur Kinder mit Hörschädigung. Es ist alles, was möglich ist, zu unternehmen, um die Akustik eines Raums zu verbessern, gute Hörbedingungen zu schaffen und v.a. Interesse für das Hören zu wecken und aufrecht zu erhalten. Eine besondere Bedeutung hat hierbei die Sprache der Bezugspersonen. Sie soll anregungsreich und hörfördernd sein.

Verbesserung der Raumakustik

Einfache Maßnahmen

Zunächst gibt es eine Reihe einfacher und kostengünstiger Möglichkeiten, die dazu beitragen die Halligkeit eines Raumes verringern und Störschall zu minimieren. Dass auch kleine Räume sehr hallig klingen können, liegt daran, dass diese große, glatte Flächen wie z.B. eine glatte Zimmerdecke, einen glatten, schallharten Fußboden, glatte Wände oder große Fensterflächen aufweisen. Schall wird von diesen Flächen gnadenlos zurückgeworfen. Das bedeutet, man muss versuchen diese Flächen zu unterbrechen und so auszustatten, dass Schall geschluckt und nicht zurückgeworfen wird. Dies kann geschehen durch das:

Anbringen von Vorhängen
Anbringen von Filzunterlagen unter Stühle und Tische
Auslegen eines Teppichs
Beschaffen von Kissen für den Stuhlkreis
Erstellen von Raumteilern aus Stoff
Anbringen von Decken- oder Wandverkleidungen
Überziehen von Pinwänden mit Stoff
Überprüfung des Mo­biliars auf Geräusche z.B. quietschende Schubladen
Auslegen von Spielzeugkisten mit Stoff / Teppichresten
Abdichten der Türen, um das Eindringen externer Geräuschquellen zu verringern
Raumakustische Sanierung

Ist dies nicht ausreichend (z.B. in einem Altbau) so ist ernsthaft über eine grundle­gende raumakustische Sanierung nachzudenken, d.h. bautechnische Maßnahmen zu ergreifen, indem schallabsorbierende Wand- und Deckenverkleidungen und schalldichte Fenster ange­bracht werden. Ist ein schallharter Boden vorhanden (Linoleum, PVC), sollte dieser gegen einen strapazierfähigen Teppich ausgetauscht werden. Akustische Belange sollten dabei Vorrang haben vor Aspekten der Reinigung. Sollte ein Kindergarten neu gebaut werden, so sind bereits bei der Planung alle Möglichkeiten des Schallschutzes zu berücksichtigen. Geschieht dies frühzeitig, ist dies kostengünstiger als eine spätere, nachträgliche Sanierung.

Soundfield-System

Eine weitere Möglichkeit stellt die Installation eines Soundfield-Systems dar. Die Stimme des Sprechers wird dabei von einem Mikrofon in Mundnähe aufgenommen, leicht verstärkt, über Funk – also drahtlos – an mehrere Lautsprecher im Raum übertragen und dadurch gleichmäßig ver­teilt, so dass an allen Plätzen im Raum unabhängig von der Entfernung zum Sprecher die gleichen Hörbedingungen herrschen. Von diesen Verbesserungen profitieren alle Zuhörer im Raum, unabhängig davon ob eine Hörschädigung vorliegt oder nicht.

FM-Anlage

Um die bestmöglichen akustischen Bedingungen für das hörgeschädigte Kind in größeren Räumen, in denen sich mehrere Personen aufhalten, zu erreichen, kann zusätzlich zum Hörgerät oder CI der Einsatz einer FM-Anlage sinnvoll sein.

FM bedeutet Frequenzmodulation. Eine FM-Anlage besteht aus einem Sender, den der Sprecher am Körper trägt und einem oder zwei Empfängern, die über den Audioeingang mit dem Hörgerät oder dem Sprachprozessor des Kindes verbunden werden. Die Stimme des Sprechers wird in einer Entfernung von ca. 15-20 Zentimetern von einem Mikrofon aufgenommen und über Funk drahtlos in das Hörgerät oder das CI des Kindes eingespeist. Das Kind hört den Sprecher jetzt so, als ob er aus 15-20 Zentimeter Entfernung direkt in das Mikrofon von Hörgerät oder CI sprechen würde. Man kann das Hören über die FM-Anlage auch mit dem Radio-Hören vergleichen, dort werden auch Funkwellen über große Entfernungen verbreitet. Durch den Einsatz der FM-Anlage kann die Distanz zwischen dem Sprecher und dem hörgeschädigten Kind flexibel vergrößert werden, ohne dass es zu einer Verschlechterung der Verständlichkeit kommt, da das hörgeschädigte Kind durch die FM-Anlage die Stimme des Sprechers immer gleich laut wahrnimmt. Störschall stört nicht, da das Mikrofon von Hörgerät oder CI entweder abgeschaltet oder deutlich leiser eingestellt ist und dadurch ein deutlich positiveres Nutzschall- Störschallverhältnis hergestellt wird.

Die FM-Anlage sollte immer dann genutzt werden, wenn das hörgeschädigte Kind akustische Informationen in geräuscherfüllter Umgebung über größere Entfernung sicher und vollständig über einen längeren Zeitraum aufnehmen will. Dies ist am einfachsten, wenn nur eine Person spricht. Dies ist im Kindergarten z.B. im Stuhlkreis der Fall oder später in der Schule. Auch bei einem Ausflug kann der Einsatz sinnvoll sein, das hörgeschädigte Kind ist dann über größere Entfernung akustisch erreichbar. Beim Autofahren oder im Fahrradanhänger bietet sich die FM-Anlage ebenfalls an, da Störgeräusche ausgeblendet werden und Sprache ungestört an das Kinderohr gelangen kann. In anderen Situationen muss gut überlegt werden, ob der Einsatz sinnvoll ist. Steht die Mutter beispielsweise in der Küche und das Kind spielt im Garten, so ist es zwar für die Mutter bequem, das Kind immer akustisch erreichen zu können, für das Hörenlernen aber wenig sinnvoll, da das Kind im Garten durchaus ein anderes akustisches Angebot hat, das nicht ausgeblendet werden sollte. Im Kindergarten beim Freispiel ist es wichtig, dass auch die anderen Kinder hörbar sind und nicht nur die Erzieherin. Die Anlage ist unbedingt auszuschalten, wenn mit anderen Personen gesprochen wird, da das hörgeschädigte Kind sonst diese Gespräche deutlicher hört, nicht aber das, was in seiner unmittelbaren Umgebung passiert.

Eine FM-Anlage kann Entfernungen überbrücken, die Stimme des Sprechers nahe bringen und dem Kind in verschiedenen Situationen sowohl in der Familie als auch im Kindergarten und später der Schule die Aufnahme und das Verstehen der Sprache erleichtern. Ihr Einsatz muss gelernt werden.

Höranregende Umwelt

Neben einer hervorragenden hörtechnischen Versorgung, Zusatztechnik wie der FM-Anlage und einer optimalen Raumakustik braucht das hörgeschädigte Kind ein gutes Hörlernangebot. Das Interesse, die Lust am Hören muss in allen möglichen Situationen geweckt werden. Aus der Spracherwerbsforschung wissen wir, dass in vielen Kulturen die an das Kind gerich­tete Sprache (KGS) besondere Merkmale aufweist, die dem Kind den Einstieg in die Sprache erleichtern sollen. Es sind dies v.a. prosodische Merkmale, eine ausdrucksreiche, rhythmisierte, sehr melodische  Sprechweise. Das Frequenzspektrum wird angehoben und die Intonationsstrukturen sind deutlich ausgeprägt. Vokale werden betont und / oder gedehnt. Diese Sprechweise wird u.a. mit dem Begriff „Baby Talk“ oder „Motherese“ bezeichnet, ein faszinierendes und fesselndes Angebot zum Hören. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass das hörgeschädigte Kind dies in besonderem Maße auch braucht.

Das beste Instrument ist dabei die menschliche Stimme. Dazu ist es notwendig, dass Eltern, Tagesmütter, Erzieher und Therapeuten lernen, auf ihre eigene Stimme zu achten, z.B. hinsichtlich der Frage ob sie zu laut oder zu leise ist, ob die Aussprache deutlich ist, ob das Sprechen rhythmisch und melodisch ist und ob ein gewisser Spannungsbogen aufgebaut wird oder ob die Erzählung eher monoton klingt und damit wenig Interesse weckt. Es kann sein, dass gerade in schwierigen Situationen das hörgeschädigte Kind nicht beim ersten Mal vollständig versteht. Hier ist es wichtig nicht vorschnell auf visuelle Hilfen auszuweichen, sondern mit guter Betonung und Akzentuierung – notfalls auch mehrfach – in natürlicher Sprechweise zu wiederholen was gerade gesagt wurde.

Des Weiteren ist wichtig, dass das Gespräch mit dem hörgeschädigten Kind von einer dialogischen Grundhaltung geprägt ist. Das bedeutet, dass sich Eltern und professionelle Helfer als gleichberechtigte Partner verstehen und Raum geben für die Redeanteile des hörgeschädigten Kindes, dass echtes Turn-Taking stattfinden kann (siehe Modul 5). Bei Gesprächen in größerer Runde z.B. beim Essen ist darauf zu achten, dass immer nur einer redet. Beim Vorlesen und Erzählen sollte auf ein ruhiges Umfeld Wert gelegt werden, Radio und Fernsehen nicht während des ganzen Tages laufen.

Zusammenfassung

Hörenlernen muss für das hörgeschädigte Kind zu jeder Situation möglich sein. Eine lärmige Umwelt erschwert dies massiv. Deshalb ist darauf zu achten, wie sich die Hörsituation für das hörgeschädigte Kind darstellt und dass diese v.a. dann, wenn es auf das ungestörte Verstehen von Sprache ankommt, optimiert wird. Dies kann durch den Einsatz der FM-Anlage geschehen.

Evaluation

Welche Faktoren erschweren das Verstehen von Sprache in geschlossenen Räumen?

helle Beleuchtung
viele Fenster
weicher Teppichboden
Radio, das den ganzen Tag läuft
Was bewirkt eine FM-Anlage?

verstärkt die Sprache im Kindergarten
erlaubt flexiblen Umgang mit unterschiedlichen Entfernungen
sorgt dafür, dass das hörgeschädigte Kind die anderen Kinder gut hört
erhöht den Störschall um 15 dB
In welchen Situationen ist die FM-Anlage sinnvoll?

wenn über einen längeren Zeitraum Sprache ungestört aufgenommen werden soll
wenn mehrere Personen gleichzeitig sprechen
wenn das Kind im Garten spielt
wenn die Umgebung besonders ruhig ist
Wodurch kann die Raumakustik verbessert werden?

durch häufiges Lüften
durch Anbringen schallschluckender Materialien
durch bessere Beleuchtung
durch das Verlegen von Parkettböden
Warum ist eine schlechte Raumakustik für das hörgeschädigte Kind belastend?

weil der Hörverlust zu groß ist
weil das hörgeschädigte Kind eine bessere Trennung von Nutzschall und Störschall braucht
weil das Hörgerät falsch angepasst ist
weil das Kind kein CI hat

Literatur

Anderson K.L. (2002) ELF – Early Listening Function http://www.phonak.ch/ccch/professional-2/pediatrics/diagnostic.htm (30.01.2009)

Diller, G. (20002) (Hrsg.) Hörgerichtetheit in der Praxis. Heidelberg: Winter

Horsch, U. (2004) (Hrsg.) Frühe Dialoge. Früherziehung hörgeschädigter Säuglinge und Kleinkinder. Hamburg: Verlag hörgeschädigte kinder

Lewis S. et al (2006) Monitoring Protocol for Deaf Babies and Children www.earlysupport.org.uk (30.01.2009)

Schmid-Giovannini, S. (o.J.): Studienbrief 7: Auditiv-verbale Therapie. In: Qualification of educational staff working with hearing impaired children (QESWHIC) www.lehn-acad.net

 

Internet: Nützliche Materialien

http://www.asha.org/public/speech/development/chart.htm (30.01.2009)

http://www.jtc.org/downloads/index.php (30.01.2009)

 


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